Falke Pisano. The value in mathematics – How do we learn?: Von Wert und Gegenwert

Review > Karlsruhe > Badischer Kunstverein
25. Oktober 2016
Text: Seraphine Meya

Falke Pisano: The value in mathematics – How do we learn?
Badischer Kunstverein, Waldstr. 3, Karlsruhe.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 27. November 2016.
www.badischer-kunstverein.de

Mathematik erscheint in unserer Kultur als universales System, dessen logische Beweisführung unverrückbar ist. Falke Pisano (*1978) betrachtet dieses System kritisch, wobei sie eine grundsätzlich skeptische Haltung dem eigenen Denken gegenüber pflegt. Was hat Mathematik mit Machtverhältnissen, Ökonomie und Ausbeutung zu tun? Wissenschaft ebenso wie Geschichte und Kultur wird unter der Prämisse bestimmter Machtverhältnisse erzählt und vermittelt. Dadurch entstehen Verschiebungen in der Wahrnehmung dessen, was wir als „richtig“ oder „falsch“ erkennen. Spielerisch und mit einer von ihr postulierten ethischen Verantwortung als Künstlerin nähert sich Pisano solchen großen Fragestellungen an. Ihre Werkserie „The Value in mathematics – How do we learn?“ wird in Deutschland nun erstmals im Badischen Kunstverein gezeigt. Eigens für die Ausstellung ist ein Film über die Geschichte der „höheren Mathematik“ entstanden.

Pisano arbeitet dabei im Kollektiv, weshalb sie die Ausstellung in Kooperation mit den zwei befreundeten Künstlern Luca Frei (*1976) und Will Holder (*1969) realisierte. Pisano erstellt während ihres Arbeitsprozesses Diagramme, die visualisieren, wie die genannten Themen zusammenhängen und welche Bilder für sie in der Darstellung sinnvoll sind.

Während kleine Tonskulpturen beispielsweise Bestandteil einer Kaufladenartigen Installation sind, anhand der man über Wert philosophieren kann, manifestiert sich Wert und Gegenwert in Form einer Waage, die von einem abstrakten Lastentier aus Holz getragen wird. Die Skulpturen der Ausstellung werden im Film „The value in mathematics (language)“ lebendig, indem Pisano Fragen der sogenannten Ethnomathematik mit einer Anthropologin und einem Professor der Mathematikdidaktik diskutiert. In dem neu für die Ausstellung entstandenen Film „Wonder Lands in Loxbridge“ setzt sich Falke Pisano mit einem interessanten Moment in der Geschichte der Höheren Mathematik von Anfang des 20. Jahrhunderts auseinander. Im Titel findet sich eine Referenz zu Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ ebenso wie zu der wissensmächtigen Konstellation aus London, Oxford und Cambridge. Illustrationen aus „Alice im Wunderland“ stellen Ludwig Wittgenstein als einen Kritiker der mathematischen Logik vor. In der Betrachtung von Wittgensteins Kritik schließt sich der Kreis des Rundgangs und man erinnert sich an den Beginn der Ausstellung und das Kapitel vier „Learning in Proximity“. Die körperliche Erfahrung von Räumen und Bewegung beim Lernen ist hier Thema. Wie bei Wittgenstein entsteht die Frage, ob etwas, das nicht auf realen Erfahrungen basiert, überhaupt als „wahr“ angenommen werden kann.

Als eines von zehn Kapiteln zum Thema „The value in mathematics – How do we learn?“ entstand das Werkkapitel „Negotiations in exchange“. Hier verhandelt Pisano in mehreren Skulpturen das Konzept des Wertes. Unterschiedliche Kulturen und Handelssysteme haben unterschiedliche Werte. Wert wird in einer kapitalistischen Gesellschaft anders bestimmt als in einer Gabenökonomie. Wir, als Teil der kapitalistischen Ökonomie kennen den Zusammenhang von „Angebot und Nachfrage“ oder von Zeitaufwand der Produktion einer Ware, um Preise zu erklären. In einer Gabenökonomie ist gesellschaftliche Anerkennung eine direkte „Gegenleistung“ und die Gabe baut eine gewisse Erwartungshaltung hinsichtlich ihrer Erwiderung auf. Wert ist also grundlegend verhandelbar und unser Wertekonstrukt gar nicht so stabil, wie wir glauben. Um wieder auf Wittgenstein zurück zu kommen ‒ nur was wir real erfahren haben, können wir überhaupt als „wahr“ oder „falsch“ bewerten. Um diesen grundsätzlich hinterfragenden Ansatz unserer Denkmuster auf unsere gewohnte Gesellschafts- und Wissensform anzuwenden, bedarf es Mut zur kontinuierlichen Instabilität.