Michael Landy: Out of Order.
Museum Tinguely, Paul-Sacher-Anlage 1, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr. Bis 25. September 2016.
www.tinguely.ch
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Kehrer Verlag, Heidelberg 2016, 240 S., 45 Euro | ca. 59 Franken.
An Jean Tinguelys Werken habe er immer gemocht, dass die Gesichter der Betrachter so glücklich aussehen, sagt Michael Landy (*1962) in einer Dokumentation, die in der National Gallery anlässlich seines Stipendiums gedreht wurde. Wenn das keine Charmeoffensive gen Basel war. Die Skulpturen, die entstanden als Landy Artist in Residence der renommierten Institution war, lassen sich wie die von Tinguely in Bewegung versetzen. Landy waren bei seinen Besuchen der Gemäldesammlung die vielen Heiligen und die Märtyrerwerkzeuge aufgefallen, mit denen sie malträtiert wurden. Im Laufe des Projektes zeichnete er sie ab oder ließ sie reproduzieren und fügte sie zuerst auf Papier, dann dreidimensional neu zusammen. Tritt man auf die Bodenschalter, so schnellt ein ungläubiger Finger in die Wunde eines kopflosen Torsos oder ein Säbel geht auf den Kopf eines Franziskanermönches nieder, während das gesamte Arrangement mitsamt Waagschalen, in denen ein Menschenpaar und ein Gewicht liegen, durcheinander gerüttelt wird. Man muss schon einen handfesten Humor haben oder sehr, sehr christlich sein, um angesichts dieser Märtyrer, oder „Saints Alive“, wie der britische Künstler sie nennt, mit einem seligen Lächeln durch Landy Einzelschau „Out of Order“ im Museum Tinguely zu schlendern.
Versteht man unter einer Ausstellung eine ästhetische Gesamtkomposition, die einen auf angenehm geistreiche Weise unterhält, ist man in Landys Soloschau falsch – denn in dieser geht es sehr gedrängt zu. Er selbst vergleicht sie dennoch mit einer englischen Landschaft. Folgt man diesem Bild, so funktionieren Arbeiten wie Sichtachsen und konstruieren Zusammenhänge. Es gibt ganz unterschiedliche Wegführungen durch „Out of Order“. Der Werkzyklus der „Appropriation“ aus den 1990er Jahren ist eine. Die Videoarbeiten zeigen die Vorbereitungen von Gemüsehändlern, das Richten der Auslagen vor den Schaufenstern, auf denen sie Pappkartons mit der Ware ausbreiten. Im Museum Tinguely liegen an den Rändern die Plastikkörbe, die Kartons und auch der Kunstrasen sowie die Metallständer, aus denen die stufenförmigen Auslagen gebaut sind. Mitten im Ausstellungsraum findet man sie dann aufgestellt, zu Podesten gestapelt oder zu mit Kunstrasen überzogenen Treppchen montiert. Wären Museen nicht derart kontemplative Orte, man könnte dem Impuls nachgeben, sich an den unendlichen Vorbereitungen zur Präsentation der Ware – die hier fehlt – zu beteiligen. Landy geht es in vielen seiner Arbeiten um Kreisläufe des Konsumierens und wie diese durchbrochen werden können. Michael Landy war unter den Young British Artists wohl derjenige mit dem größten Interesse an gesellschaftspolitischen Fragen.
Wer Anfang der 60er Jahre in Großbritannien geboren wurde, hat den Neoliberalismus der Thatcher-Ära kennen gelernt. Vor allem dann, wenn man wie Landy aus der Arbeiterschicht stammt und im Londoner Stadtteil Hackney aufwuchs. Mitte der 90er Jahre war in der Tate Modern seine raumfüllende Installation „Scrapheap Services“ zu sehen. Auf dem Boden lagen Unmengen von Männchen, die Landy aus Verpackungsmaterial ausgeschnitten hatte, Straßenfeger waren damit beschäftigt, sie zu schreddern oder zumindest zu entsorgen. Billboards entwarfen spießige Idyllen. In Basel sind nun einzelne Objekte wie die Tafeln oder Mülleimer zu sehen. „Out of Order“ bietet noch weitere Erzählfäden an. Einer ist der geschundene Körper seines Vaters, der von einem schweren Arbeitsunfall gezeichnet ist und den Michael Landy wirklichkeitsgetreu abbildete. Ein weiterer, dass Landy 2001 seinen gesamten Besitz erfassen und vernichten ließ. Nach dieser Tabula Rasa kehrte er dorthin zurück, wo für ihn die Kunst anfing: zur Zeichnung. Der Brite wandte sich so genannten Pionierpflanzen wie Kamille oder Hirtentäschel zu, die als erste Brachen besiedeln. Landy porträtiert sie in minutiösen Zeichnungen, die keinen glamourösen, aber einen robusten Neuanfang darstellen.