Sonja Sekula, Max Ernst, Jackson Pollock & Friends: Eine aus dem Chor

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9. August 2016
Text: Tiziana Bonetti

Sonja Sekula, Max Ernst, Jackson Pollock & Friends.
Kunstmuseum Luzern, Europaplatz 1, Luzern.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 25. September 2016.
www.kunstmuseumluzern.ch
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Scheidegger & Spiess, Zürich 2016, 160 S., 48 Euro | ca. 49 Franken.

Auf einem von gelbgrünen und warmen Farbtönen dominierten lasurartigen Bildteppich überlagern sich längs verlaufende Flächen, die mit teils feinsten Linien, teils mit dicken Bleistiftstrichen voneinander getrennt sind. Die sowohl dynamische als auch dichte Komposition strotzt vor Farben- und Formenvielfalt. Sonja Sekulas (1918-1963) unverkennbare Handschrift zeigt sich hier in Form des nicht enden wollenden Detailreichtums, dem diaphanen Farbauftrag und dem nonchalanten, originellen Umgang mit Farbwahl und Formen. Die im Kunstmuseum Luzern hängige Malerei

„Williamsburg Bridge“ ist eine der zwischen 1948 und 1956 entstandenen abstrakten und expressionistischen Leinwände der Künstlerin. Obwohl dem Abstrakten verpflichtet, zeichnet sich in den verwinkelten Flächen und den sich emporrankenden Linien schemenhaft das Abbild einer pulsierenden Stadt mit ihren Strassenschluchten ab. Im Bogen schliesslich – eine Zäsur im Bild, die über das klaustrophobische Arrangement führt – ahnt man die gewölbte Brücke, die Manhattan und Brooklyn verbindet.

Museumsdirektorin Fanni Fetzer zeigt mit der Schau „Sonja Sekula, Max Ernst, Jackson Pollock & Friends“ das von Diskontinuität und Stilpluralismus geprägte Œuvre Sekulas. Obwohl die Künstlerin, die 1936 mit ihren wohlhabenden Eltern von Luzern in die Metropole New York emigrierte, rasch mit internationalen Künstlerkreisen in Kontakt geriet, weisen ihre von diversen Strömungen inspirierten Arbeiten eine eigenständige Ausdrucksweise auf. Stilistischen Forderungen, denen Sekula nicht entsprechen wollte, trat sie mit Vehemenz entgegen. So auch dem Wunsch des amerikanischen Publikums nach grossen Formaten, die Jackson Pollock zum Massstab erhoben hatte.

In der räumlich vollzogenen Vierteilung der Ausstellung in die Kategorien All-over-Malerei, Surrealistische Tendenzen, Papierarbeiten und Indian Space vermutet man den Versuch angesichts der stilistischen Mannigfaltigkeit der Arbeiten Sekulas, den Besuchern eine Orientierungshilfe zu bieten. Neben der anteilsmässig höheren Zahl an Werken von Sekula werden vereinzelt Leinwände von Pollock, Mark Rothko, Max Ernst, Peter Busa, Roberto Matta, Maria Helena Vieira da Silva und anderen Künstlern präsentiert, mit denen Sekula freundschaftlich verbunden war und sich zeitlebens im Austausch befand. So hängen vom Surrealismus inspirierte Bildwelten Sekulas wie die farblich an Niki de Saint Phalles spätere Nanas erinnernde Arbeit „Animal Without Subject of War“ (1944) im selben Raum wie Busas „The Jungle“ (1945) und „The Nymph Echo“ (1936) von Ernst.

Die Hängung im Kunstmuseum Luzern, dessen Wände anlässlich der Ausstellung in satten Blautönen – von Weissblau, über Azur bis hin zu Ultramarin – erstrahlen, offenbart, dass Sekula mit Kunstgrössen wie Pollock und Ernst auf Augenhöhe steht. Dennoch mutet es auf den zweiten Blick ironisch an, dass Werke einer von der Kunstgeschichte marginalisierten Exponentin proportional in der Überzahl neben denen von Künstlern zu sehen sind, die heute, weltberühmt, über einen Kultstatus verfügen, den Sekula selber nie erlangte. Ob nun, wie vermutet wird, die spärliche Rezeption in Sekulas ambivalenter Haltung im künstlerischen Feld oder in ihrer zunehmend auf Selbsterkenntnis ausgerichteten Arbeit liegt; faktisch ist Sekula eine unter vielen Künstlerinnen, die nicht in den Kanon der Kunstgeschichte aufgenommen wurden, der bis Mitte des 20. Jahrhunderts vornehmlich weissen, heterosexuellen Männern vorbehalten blieb. Indem das Kunstmuseum Luzern Sekula eine Ausstellung widmet, verleiht es einer in der Kunstgeschichte kaum wahrgenommenen Position eine Stimme, die vom lauthalsen Chor des Kanons gänzlich überhört wurde.