VALIE EXPORT: Berührung als Grenzerfahrung

Review > Baden-Baden > Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
31. Januar 2021
Text: Jolanda Bozzetti

VALIE EXPORT. Fragmente einer Berührung.
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Lichtentaler Allee 8a, Baden-Baden.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 28. Februar 2021.
www.kunsthalle-baden-baden.de

Berühmt wurde sie durch eine Aktion, die sie selbst als „ersten direkten Frauenfilm“ bezeichnete: 1968 stellte sich VALIE EXPORT, einen Kasten mit zwei schmalen Öffnungen vor ihren Oberkörper geschnallt, auf den Münchner Stachus. Ihr damaliger Partner Peter Weibel rief per Megaphon den Besuch des TAPP und TASTKINOS aus: für 33 Sekunden durften Passanten mit ihren Händen die nackten Brüste der Künstlerin befühlen. Das Ziel von EXPORT: „taktile statt visueller Kommunikation.“ Die zweiminütige Schwarzweiß-Dokumentation dieser provokativen Aktion ist Teil einer Serie von Kurzfilmen, die VALIE EXPORT als Expanded Cinema versteht. Ein erweitertes Kino, das die glatte Oberfläche der Leinwand trans­zendiert und über den Sehsinn hinaus eine körperliche Erfahrung ermöglichen soll. So kommt man nicht umhin, auch physisch mitzufühlen, wenn man in „Hyperbulie“ (1973) die Künstlerin nackt sich zwischen eng gespannten Drähten hindurchzwängen und von regelmäßigen kleinen Stromschlägen zusammenzucken sieht.

Der Körper, speziell der weibliche Körper, steht im Zentrum der Arbeiten von VALIE EXPORT. Das Thema Berührung als roter kuratorischer Faden für eine Retrospektive ist daher naheliegend. In diesem Jahr, zum 80. Geburtstag von EXPORT, hat es durch das weitreichende Verbot von physischem Kontakt zwischen Menschen eine besondere Aktualität. Doch Berührung geht bei EXPORT über das Körperliche hinaus, denn sämtlichen Arbeiten liegt ein stark konzeptueller Ansatz zugrunde. So besteht das Intro der Ausstellung, mit dem an Roland Barthes‘ angelehnten Titel „Fragmente der Bilder einer Berührung“ (1994), aus 18 von Traversen hängenden Glühbirnen – der Anzahl an benötigten Einzelbildern, die zusammen ein vollständiges Super 8-Filmbild ergeben. Rhythmisch bewegen sich die Glühbirnen auf und ab, wobei sie in mit verschiedenen Flüssigkeiten (zähes, dunkles Altöl, Milchersatz oder klares Wasser) gefüllte Glaszylinder getunkt werden und ein abstraktes, mechanisches Bild eines „körperlosen Beischlafs“ erzeugen. Eine ähnliche Bewegung, allerdings ungleich gewaltvoller und lärmender, begegnet einem in der Ausstellung einige Räume weiter: die Installation „Nadel“ (1996/97) setzt sich aus drei überdimensionierten, jeweils etwa drei Meter langen Nadeln aus Stahl zusammen, die abwechselnd bis kurz über den Boden gehämmert werden.

Mit dieser Arbeit bezieht VALIE EXPORT, wie in vielen weiteren, eine eindeutig feministische Position, stellt aber auch Bezüge zu ihrer Biografie her. 1960 kehrte die in Linz geborene Waltraud Lehner als junge Mutter und bereits geschiedene Ehefrau dem bürgerlichen Leben den Rücken und ging nach Wien, um Textildesign zu studieren. In Wien wurde sie bald Teil der lebendigen Kunstszene, schloss sich jedoch nicht den Aktionisten an, sondern verfolgte ihren eigenen Weg mit Themen, die damals noch absolut neu waren. 1967 gab sie sich, Bezug nehmend auf die Zigarettenmarke EXPORT, ihren Künstlernamen, der zugleich als Logo und Branding fungierte.

Wien als Stadtraum, als architektonische Landschaft, wurde fester Bestandteil ihrer Arbeiten, insbesondere der Filme und Fotos. Die Baden-Badener Ausstellung zeigt großformatige Fotos aus ihrer Serie „Körperkonfigurationen“ (1972-1976 und 1976-1982), in der die Künstlerin ihren Körper an Hauswände und Treppenstufen schmiegt oder der Biegung von dicken Säulen und geschwungenen Bordsteinkanten nachspürt. Weitere Fotoarbeiten, etwa aus der Serie „Ontologischer Sprung“ (1974), befassen sich auf poetische Art mit Fragen nach verschiedenen Realitätsebenen, nach Original und Abbildung – kleine Fragmente von Bildtheorie, die in ihren Filmen wieder auftauchen und sich zu einem größeren Ganzen zusammenfügen.