Troy Montes Michie, The Jawbone Sings Blue. Diskret und explizit

Troy Montes Michie, Wind in the Cane, 2025, Detail, in: Troy Montes Michie, The Jawbone Sings Blue, Kunsthalle Basel, 2025, Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel
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19. November 2025
Text: Dietrich Roeschmann

Troy Montes Michie: The Jawbone Sings Blue.

Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, Basel.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.30 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 25. Januar 2026.

www.kunsthallebasel.ch

Troy Montes Michie, Culebra #1, 2025, Detail, in: Troy Montes Michie, The Jawbone Sings Blue, Kunsthalle Basel, 2025, Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel
Troy Montes Michie, Mud Songs, 2025, Installationsansicht, in: Troy Montes Michie, The Jawbone Sings Blue, Kunsthalle Basel, 2025, Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel
Troy Montes Michie, The Jawbone Sings Blue, Ausstellungsansicht, Kunsthalle Basel, 2025, Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel
Troy Montes Michie, The Jawbone Sings Blue, Ausstellungsansicht, Kunsthalle Basel, 2025, Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel
Troy Montes Michie, Brotherhood, 2025, Installationsansicht, in: Troy Montes Michie, The Jawbone Sings Blue, Kunsthalle Basel, 2025, Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel
Troy Montes Michie, Three is Company, 2025, Detail, in: Troy Montes Michie, The Jawbone Sings Blue, Kunsthalle Basel, 2025, Foto: Philipp Hänger / Kunsthalle Basel

Beim Durchblättern alter Fotoalben gibt es oft auch anderes zu sehen, als die Menschen, die sie angelegt haben, zeigen wollten. Mal ist es die Auswahl der Motive, sind es Wiederholungen oder Ausschnitte, die dann weniger über die abgebildeten Personen verraten als über den Wunsch der Fotografierenden, ihr Gegenüber auf eine bestimmte Weise zu sehen. Mal sind es ein paar einsame Fotoecken auf einer leeren Seite, die darüber spekulieren lassen, ob nun Liebe oder Hass der Grund gewesen sein mag, das fehlende Foto aus dem Kontext zu lösen, es in die Brieftasche zu stecken oder im Müll zu entsorgen. Fotoalben dokumentieren immer eine Behauptung von Identität, die sich die Menschen zusammenkleben – und belegen zugleich ihre grundsätzliche Veränderbarkeit.

In der Kunsthalle Basel sind derzeit Arbeiten des US-amerikanischen Künstlers Troy Montes Michie (*1985) zu sehen, der sich seit geraumer Zeit intensiv mit dem Nachlass des Bildhauers Richmond Barthé (1901-1989) beschäftigt. In den 1930er Jahren gehörte dieser zu den wichtigsten Künstlern der Harlem Renaissance, einer Kulturavantgarde, die sich der Idee einer Schwarze Moderne verschrieben hatte. Barthé war berühmt für seine androgynen Akte Schwarzer Männer, in Posen voller Spiritualität und gezähmtem Verlangen. Das Material, das er begleitend zu seiner künstlerischen Arbeit in einem Scrapbook sammelte – Fotografien, Zeitungsausschnitte, Buchcover –, ist heute großenteils verloren. Die lückenhaften Layouts aus Barthés Sammelalbum inspirierten Troy Montes Michie nun aber zu einer umfangreichen Serie von Collagen, die er in Basel in einem kulissenhaften Setting zwischen Kunst- und Erinnerungsraum arrangiert hat.

Michies Bilder erzwingen Nähe, allein schon, weil sie in ihrer Kleinteiligkeit kaum anders zu erfassen sind. Die Bildträger bestehen oft aus Buchdeckeln, mit schwarzem Garn zusammengenäht, das in groben Krakel- oder Gitterstrukturen tiefe Narben in den Karton schlägt. Auf diesen Oberflächen, schroff wie Rinde, entwirft Michie mit gefundenem Bildmaterial aus ungenannten Quellen großformatige Collagen, die wie die ramponierten Seiten eines alten Sammelalbums vor allem von dem erzählen, was nicht zu sehen ist. Auf einigen Fotos sind die Gesichter überblendet oder zerkratzt, was in brutalem Kontrast zur ausgelassenen, oft erotischen Körpersprache der Menschen steht. Übermalte Akte aus Vintage-Schwulenpornos stehen hier neben verknitterten Aufnahmen von Familienfeiern, vergilbte Polaroids von Autos neben alten Schwarzweiß-Fotos von in Landschaften oder Wohnzimmern posierenden Tänzern und Bodybuildern. Dutzendfach säumen diese Collagen die Wände der Kunsthalle und lassen so das vage Bild eines Lebens entstehen, das von Intimität, Stolz und Verletzlichkeit geprägt ist, von queerem Begehren und der Fragilität der Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum, zwischen Freiheit und Sicherheit.

In einige der Säle hat Troy Montes Michie Wände eingezogen und mit je einem Fenster versehen. Schaut man durch die milchigen Scheiben, fällt der Blick in einen der Räume, die man später betreten wird, an deren Wänden wiederum Collagen hängen, mit Blick in einen weiteren Raum, und so weiter. Dadurch stellt sich das Gefühl ein, immer von draußen nach innen zu schauen – und so immer außen vor zu bleiben. Die Situation drängt einen – wie beim Durchblättern eines fremden Fotoalbums – in die Rolle des Voyeurs, der im Gegensatz zum Betrachter nicht den offenen Austausch sucht, sondern die stille Befriedigung der eigenen Neugier, im Wissen, nicht beteiligt zu sein. Man könnte Troy Montes Michies Collagen so auch als eine Recherche über das Verhältnis von Nähe und Distanz verstehen, das die Art und Weise prägt, wie wir uns erinnern. Wie kann es gelingen, Nähe herzustellen, ohne die Grenzen der Intimität des anderen zu verletzen? Oder bezogen auf Richmond Barthé: Wie kann es gelingen, die Geschichte eines Bildhauers zu erzählen, der seine Queerness lebte, ohne sie je zu benennen?