Katharina Grosse, The Sprayed Dear: Dialektik der Farbe

Katharina Grosse
Katharina Grosse, The Sprayed Dear, Ausstellungsansicht Kunstgebäude Stuttgart, Foto: Jens Ziehe, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
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14. Juli 2025
Text: Anne Abelein

Katharina Grosse: The Sprayed Dear.
Kunstgebäude, Schlossplatz 2, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 11. Januar 2026.

www.staatsgalerie.de
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:Sandstein Verlag, Dresden 2025, 352 S., 54 Euro | ca. 74.90 Franken.

Katharina Grosse
Katharina Grosse, Ohne Titel, 1989, Foto: Jens Ziehe, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Katharina Grosse
Katharina Grosse, The Sprayed Dear, Ausstellungsansicht Kunstgebäude Stuttgart, Foto: Jens Ziehe, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
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Katharina Grosse, The Sprayed Dear, Ausstellungsansicht Kunstgebäude Stuttgart, Foto: Jens Ziehe, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Voll und leer, winzig und raumgreifend, schlichtes Weiß und Farbgewalt – wer die Ausstellung „The Sprayed Dear“ von Katharina Grosse (*1961) im Stuttgarter Kunstgebäude betritt, trifft auf starke Kontraste. Das Herzstück ist die farbstarke Arbeit „The Sprayed Dear“ im polygonen, 26 Meter hohen Kuppelsaal. Die in Berlin und Neuseeland lebende Künstlerin war von diesem begeistert und hat für ihn und noch zwei weitere Räume im Kunstgebäude eigens Arbeiten geschaffen. Der Ausstellungstitel der Großen Landesausstellung mit der Staatsgalerie „The Sprayed Dear“ spielt dabei auf die Kuppelbekrönung mit dem württembergischen, goldenen Hirsch an, meint aber auch das „Liebgewonnene“.

Wer zu der zentralen Arbeit vordringen will, passiert erst einmal die Ursprünge von Katharina Grosses Kunst: Die liegen in einem winzigen (Oster-)Ei, das sie erst zehnjährig mit einem Segelschiff in Orange- und Blautönen bemalte. Es sind schon Ingredienzen von Katharina Grosses späterer Kunst enthalten. Was kann ein Bild alles sein, ist ihre Kernfrage. Die Ei-Form greift sie in einer ovalen Arbeit von 2007 erneut auf, die an der rechten oberen Raumecke hängt. Scheint der erste Raum vergleichsweise leer, so ist der zweite fast zur Gänze von Grosses Skulptur „Ghost“ ausgefüllt, die sich wie ein Gletscher in den Weg des Betrachters schiebt. Gletscher auch deshalb, weil das Exponat aus schneeweißem Styropor besteht und damit der Wand und dem zweidimensionalen Bild naherückt. Gleichzeitig trumpft es mit seiner durchbrochenen Textur, Reliefs von gebündelten Linien und messerscharfen Graten auf. Katharina Grosse formte die Arbeit mit einem glühenden Draht.

Nach der Auslöschung aller Farbe sind die Betrachtenden bereit für den Kuppelsaal, wo die farbintensive Arbeit „The Sprayed Dear“ aus Aluminiumplatten den Atem raubt. Wie eine Welle wölbt sie sich aus dem ebenfalls leuchtstark gestalteten Boden. Wer die Arbeit umrundet, dem präsentiert sie immer neue staunenswerte Ansichten. Malerei, Skulptur und Architektur gehen untrennbar ineinander über. Das dritte für das Kunstgebäude geschaffene Werk lotet erneut die Grenzen zwischen den Gattungen aus: So sind vor einer Wand spannungsvoll Leinwandbahnen drapiert, die mit ihrem Weiß das Licht aus der großen Fensterfront zur Geltung bringen und zugleich ihre graue, gewebte Rückseite nicht verhüllen. Hier schwingt der Gobelin genauso mit wie Lucio Fontanas geschlitzte Leinwände.

Einige aktuellere Exponate, wie allansichtige Bronze- und Aluminiumgüsse und gestaffelte Holzplatten von 2021 bewegen sich ebenfalls am Übergang von Skulptur in Malerei. Die Holzplatten lehnen an Wänden und sind zu spannungsvollen Diptychen bzw. Polydiptychen angeordnet. Obwohl Grosse sie synchron bemalt hat, sind die Kompositionen nicht kohärent und laden zum genauen Hinschauen ein. Eine Arbeit von 2011 in einer Scherbenform füllt einen weiteren Raum, scheint förmlich zu schweben, und wird von Grosses ausladenden, gesprayten Schwüngen fast gesprengt.

Die Ausstellung zeigt zudem noch nie gezeigte Arbeiten vom Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre, welche Grosses aktuelle Produktion erhellt. Bildträger und Bilder bestehen aus Polyethylen sowie Polyvinylchlorid mit Positiv- und Negativformen und Gouache- und Öltechnik. Hier nimmt die Malerei reliefhafte Züge an. Ähnlich verhält es sich bei Arbeiten aus Paraffin und Plastilin mit Pigmenten auf Karton, Leinwand und Holz. In den an Henri Matisse und Jean Dubuffet erinnernden Formen erforscht Katharina Grosse schon zu einem frühen Zeitpunkt das Zusammenspiel von Skulptur und Fläche.