Lawrence Lek, Farsight Freeport: Panoptikum der Gegenwart

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16. September 2019
Text: Annette Hoffmann

Lawrence Lek: Farsight Freeport.
Haus der elektronischen Künste, Freilager-Platz 9, Münchenstein-Basel.
Mittwoch bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 10. November 2019.

www.hek.ch

Ein Schwindel überfällt einen in Lawrence Leks Ausstellung „Farsight Freeport“ spätestens dann, wenn man sich in der gleichnamigen Videoinstallation der Situation gegenüber sieht, in der man sich befindet. Die gleiche polyederförmige Szenografie mit den blauen Plastikwänden, die unten von Lichtbändern gelb bestrahlt werden und die gleichen passepartoutartigen Einschnitte, die den Blick auf die Videos freigeben. „Farsight Freeport“ hat sich bis zu diesem Punkt im Haus der elektronischen Künste Basel als eine allumfassende Dystopie nach der Klimakatastrophe erwiesen. Die eigentliche Herrschaft hat die Künstliche Intelligenz und mit ihr Farsight Corporation übernommen, während die Menschen völlig mit Computerspielen, manchmal auch mit Kunst und Musik absorbiert sind. Künstler zu werden ist da eine eskapistische Idee besonderer Art, die durchaus auch ein Umweltsatellit hegen kann. All diese narrativen Versatzstücke werden in der Installation „Farsight Freeport“ in die Rahmengeschichte eines Sammlers eingebettet. Leks Ausstellung, so wie wir sie heute erleben können, wird bei Farsight Corporation im firmeneigenen Freihafen im Jahr 2065 als Retrospektive stattfinden.

Löst man sich einen Moment aus dieser immersiven Situation, erkennt man im Grundriss Jeremy Benthams strahlenförmiges Panoptikum, das zuerst entwickelt wurde, um die Arbeiter zu Zeiten der Industrialisierung zu kontrollieren, dann Anfang des 19. Jahrhunderts auf die Gefängnisarchitektur übertragen wurde. Fast überflüssig zu erwähnen, dass im HeK CCTV aufnimmt, was im Ausstellungsraum geschieht. Verlässt man die Ausstellung, sieht man sich selbst als Teil des Ganzen. Lawrence Lek, der 1982 in Frankfurt geboren wurde, malaysisch-chinesische Wurzeln hat und mittlerweile in London lebt, hat sich vom spezifischen Ort inspirieren lassen, genauer von dessen früherer Nutzung als Speicher und Kunstfreilager. Als ausgebildeter Architekt – Lek hat am Trinity College Cambridge studiert – weiß er mit Renderings umzugehen und er weiß um die Zeichenhaftigkeit von Hotels, Spielkasinos und ähnlicher Unorte. „Farsight Freeport“, das er in ein hypermodernes Asien überführt – das Singapur des Jahres 2065 ist so etwas wie ein Vorbild –, ist ein menschenleerer, von Wassermassen überfluteter Raum. Daraus wird keine Venus geboren, sondern die KI eines Umweltsatelliten, dessen Entwicklung man im Video „Geomancer“ verfolgen kann.

Dieser Hauptstrang wird durch mehrere Narrative flankiert, die einen tiefer in dieses mehrwürdige Universum abtauchen lassen. Auf einem Bildschirm breitet sich die Corporated Identity von Farsight Corporation aus. Führerlose Wagen eines Fahrgeschäftes rattern durch einen verwaisten Vergnügungspark, während eine gewinnende Stimme die Work-Life-Balance des Technologie Start-ups Farsight preist. „Let’s go to play work“ heißt es in dem Werbespot, der einen Einblick in die schöne neue Welt der Automatisierung und des Lebens unter der Herrschaft der Künstlichen Intelligenz gibt. Die beiden Filme „Geomancer“ von 2017 und „AIDOL“, der in diesem Jahr fertig gestellt wurde, verleihen dem Farsight-Komplex epische Breite. Andere Arbeiten wie die VR-Installation „Nøtel“ heben die Trennung zwischen dem Ausstellungsbesuch und der virtuellen Welt von Leks Fiktion auf.

Die Gesamtinstallation „Farsight Freeport“ ist beeindruckend in ihrer gleicher­maßen gedanklichen wie ästhetischen Konsequenz und Stringenz. Das Video „Sinofuturismus“ aus dem Jahr 2016 bricht die Hermetik von „Farsight Freeport“ auf. Indem es mit dokumentarischem Material arbeitet, das etwa den sozialen Druck von chinesischen Schülern vor der Abschlussprüfung offenlegt oder den hohen Automatisierungsgrad der deutschen Automobilproduktion in China. Das wirkt ein bisschen so als würde Lawrence Lek der subversiven Kraft seiner Welten nicht trauen und glauben, der Betrachter sei schon längst an eines der Computerspiele verloren. Tatsächlich jedoch stärkt Leks „Farsight Freeport“-Universum das Misstrauen in jede Form von Totalitarismus.