Dem Himmel so nah. Wolken in der Kunst.
Kunsthalle Emden, Hinter dem Rahmen 13, Enden.
Dienstag bis Freitag 10.00 bis 17.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 9. November 2025.
[— artline>Nord] Sie sind massig und flüchtig, haben viele Gesichter und ihre Geheimnisse sind noch immer nicht ganz entschlüsselt. Sie lassen staunen und haben viel zu sagen. Manche Menschen blicken verträumt in Wolkenfiguren, andere lesen in den Formationen das künftige Wetter ab. Die luftigen Erscheinungen als Naturschauspiel zu bezeichnen, trifft nicht mehr ganz zu. So wie Satelliten die Sternenbilder durchqueren, mischt Menschengemachtes die Wolken auf. Emissionen, Folgen von Explosionen, Anschlägen, Kriegen – der einst als Sitz der Götter angenommene Himmel trägt zwischen den Wolken rauchige Spuren irdischer Katastrophen. Seit der Romantik, als Wolkenbetrachtung und Wolkenkunde in Wissenschaft und Kunst Fahrt aufnahmen, hat sich viel getan. So wie die Welt und die Wolken veränderte sich auch die Kunst. Wir haben es also mit einer Großmetapher für den Wandel zu tun. Was sich wandelt, hat gute Aussicht auf Bestand. Und auf anhaltendes Interesse. Die Zahl der Künstlerinnen und Künstler, die sich mit dem Sujet beschäftigen, ist groß, die Zahl der Ausstellungen ebenso. Die jüngste Wolkenschau ist in der Kunsthalle Emden zu besichtigen. Ihr Titel: „Dem Himmel so nah“.
Schon die Fahrt zum Museum macht das Motto anschaulich: Hier ist Wolkenpracht zuhause. Entsprechend zeigt eine Ikone der Sammlung den Himmel über Emden: Heiner Altmeppens „Norddeutsche Landschaft“. So wirklichkeitsnah das Gemälde auf den ersten Blick auch erscheint, so wirkungsvoll spielt es mit unserem Auge. Dieser Himmel ist eine Konstruktion. Wie aus einem Setzkasten für Wolkenansichten über flachem Land fügen sich die Elemente. Ist das Montageprinzip anhand des artifiziellen Lichts oder einer schablonenhaften Stadtkulisse erst einmal erkannt, offenbart sich die eigentliche Realität des Bildes: Es geht um Wahrnehmung. Wir erbauen das Bild anhand der visuellen Daten, die unser Gedächtnis einordnet und zusammenfügt.
Was sehen und lesen wir nicht alles in Wolken? Weil wir im Gestaltlosen Verkörperungen suchen, im Veränderlichen das Dauerhafte und im Einzelnen das Allgemeine. So gleicht der Wolkenbau ja auch dem künstlerischen Tun, was die Faszination der Himmelsschauspiele für die Malenden und Fotografierenden und sonstigen Bilder BiIdenden erklärt. Zahlreiche Exponate in der Ausstellung „aus mehr als 150 Jahren und von über 30 internationalen Künstlerinnen und Künstlern“ bezeugen die Einschätzung, die der Kunsthistoriker Werner Busch Leonardo zuschreibt: „Im geradezu bewusstlosen künstlerischen Tun kann Gestalt entstehen und zugleich eine an- und aufgeregte Fantasie in allen nur denkbaren Bildungen ganze Schlachten, Landschaften oder Städte sehen.“ Wolken – ein Kreativitätsmodell.
„Natürlich“ ist der Himmel dank Luftfahrtgesellschaften dem Menschen näher gerückt. Natürlich hat er als Sitz der Götter abgedankt. Selbstverständlich werfen die Luftkriege lange Schatten auf den Blick nach oben. Doch Mythen und Metaphern wirken weiter und regen an. Das Erhabene, das C.D. Friedrich in der Natur sah, lebt in Hiroyuki Masuyamas Leuchtkästen weiter. Der Videokünstler Björn Melhus lässt das Personal christlicher Erzählungen in zwiespältiger Stilisierung Bildschirm-Himmel durchkreuzen. Der apokalyptische Reiter aus der Johannes-Offenbarung bekommt mit der aktuellen „Zeitenwende“ wieder seinen Auftritt. Die Parallelspur zur Wolkenschönheit speist sich aus irdischen Katastrophen, die jegliche Fortschrittshoffnung pulverisieren. Eine der schönsten Arbeiten der Schau stammt von Nanne Meyer. Ihr atmosphärisch reicher Minimalismus schließt auf eigene Art an Wesensmerkmale der Wolken an. Sie zeigt sie als Individuen ohne schematische Ordnung. Sie hält sie luftig und präsentiert sie rhapsodisch wie in einem Spiel ohne Regeln, in dem sich die Elemente doch irgendwie fügen. Visitenkartengroß hängen ihre Blätter mit Wolkenbildern und Wolkentexten wie in Wolkenform. Poetische Phänomene, die man anschauen kann, mit denen man sich treiben lassen kann.