Rahima Gambo

Rahima Gambo, aus: A Walk Series, 2018- Ongoing, © Rahima Gambo
Porträt
19. September 2021
Text: Dietrich Roeschmann

Biennale für Freiburg #1 mit Rahima Gambo u.a.
Diverse Orte, Freiburg, Ausstellungsparcours bis 3. Oktober 2021.
www.biennalefuerfreiburg.de

Arbeiten von Rahima Gambo sind im Rahmen der BfF#1 zu sehen im:
— DELPHI_space, Emmendinger Str. 21, Freiburg, Do-So 12-18h,
www.delphi-space.com
— Museum für Neue Kunst, Marienstr. 10a, Freiburg, Di-So 10-17h,
www.freiburg.de

www.rahimagambo.com

www.awalkspace.com

 

Rahima Gambo, Installationsansicht „My whole body changed into something else“, 2021, Stevenson Gallery, Capetown, © Rahima Gambo
Rahima Gambo, aus: Tatsuniya, 2017, © Rahima Gambo

There is a place in me for air______as part
of  me______of  a piece______with how I  live.

Mit diesen Zeilen beginnt das Gedicht „For Air“ des US-amerikanischen Lyrikers Ed Roberson (*1939), und schon der entzerrte Schriftsatz markiert potenzielle Leerstellen, um Luft durch die Verse strömen zu lassen. Als Rahima Gambo (*1986) im vergangenen Jahr zum artist-in-residence-Programm des Operndorfs in Burkina Faso eingeladen war, gehörten die Gedichte Robersons zur regelmäßigen Lektüre der Künstlerin, und auch das Thema Atem war 2020 sehr präsent. Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd war „I can’t breathe“ zum Protestruf einer weltweiten Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt geworden, Menschen erkrankten an Covid-19 und starben an Lungenversagen, und in Kalifornien verdunkelte der Rauch der Waldbrände die Sonne und nahm den Menschen die Luft zum Atmen.

„Instruments of air“ hieß die Videoarbeit, die Rahima Gambo in dieser Zeit in Burkina Faso drehte. Jeden Morgen machte sie sich auf den Weg und erkundete die Gegend, mit der Smartphone-Kamera in der Hand, den knirschenden roten Grund unter den Sohlen, das saftige Grün der Bäume vor sich, und über sich den blauen Himmel, erfüllt vom Gesang der Vögel. Sound, sagt Gambo, sei in diesen ersten Tagen sehr zentral gewesen für sie, da sie kein Französisch sprach und auch keines der lokalen Idiome. Statt Worte nahm sie Intonationen, Timbres und Stimmlagen wahr. Das Ephemere rückte an die Stelle vermeintlich gesicherten Wissens. Was sie interessierte, war die Erfahrung, mit dem eigenen Körper in der Umgebung aufzugehen und die Dinge in sich einsickern zu lassen: die Landschaft, den Klang, den Wind und die Wärme der Sonne auf der Haut, aber auch die Erinnerung der Spuren, die anderes Leben hier hinterlassen hat. In ihrem Video hält Gambo kleine Messingskulpturen in die Kamera, die sie „Walk Maps“ nennt. Zwischen punktförmigen Enden bilden sie Halbkreise, Dreiecke, Winkel oder Schlangenlinien. Sie wirken wie prähistorische Objekte, unentschieden zwischen Kunstwerk und Gebrauchsgegenstand, Figurine oder Navigationsgerät. Im Video schieben sie sich wie ein Filter vor die Landschaft, definieren eine Art Fixpunkt in der Bewegung, scheinen Orientierung zu geben und lassen dennoch erahnen, dass es kein äußeres Ziel gibt auf Gambos Wanderungen außer die von allen Notwendigkeiten befreite Erfahrung der Bewegung durch Zeit und Raum, die die Aufmerksamkeit schärft für Übersehenes, Verschüttetes.

Rahima Gambo, die zunächst Gender- und Sozialpolitik an der London School of Economics studierte, später Journalismus, und heute als Künstlerin in London und Abuja, Nigeria, lebt, erkundet in ihren experimentellen Walks die Verstrickung von inneren und äußeren Landschaften. Am Anfang standen mit dokumentarischen Projekten wie „Education is Forbidden“ (2015-2016) und „Tatsuniya“ (2017) viel beachtete Arbeiten über die traumatischen Erfahrungen der von der Terrormiliz Boko Haram entführten Mädchen in Nigeria und über die Schule als einen Ort, an dem sich Erinnerungen an Kolonialismus und Gewalterfahrungen mit den Versprechen von Bildung und Emanzipation kreuzen. Entgegen des westlichen Blicks porträtierte Gambo die Mädchen nicht als Opfer, sondern als Community, die gegen das Trauma ihr kollektives Gedächtnis an flüchtige Momente des Glücks aktivierte.

Mit der Videoarbeit „A Walk“ erforschte sie 2018 dann das Gehen als Medium einer Kartografie der Erinnerung. Auf den Straßen von Lagos, Abuja und Maiduguri sammelte sie Bilder und scheinbar formloses Material. Die Assemblagen, die daraus entstanden – fragile Gebilde aus vertrockneten Zweigen, Fetzen von Plastiknetzen, Stoffresten oder buntem Papier – wirkten wie zufällig ineinander gewehte Traumfänger und folgten der Idee der Heilung als Akt des Wiederzusammenfügens einer fragmentierten Welt. Anknüpfend an diese Arbeit gründete Rahima Gambo 2019 den mobilen Kunstraum „A Walk Space Studio“, mit dem sie nun an der Biennale für Freiburg zu Gast ist. Zu erleben sind hier die Bild-, Material- und Sound-Spuren eines mehrtägigen Walk-Workshops, den sie kurz vor Eröffnung der Biennale mit Interessierten in der Stadt zu Themen wie „becoming a porous body“, „language of the birds“ oder „weaving a collective web“ veranstaltete.